Insights/Dialogue & Events
«Beeindruckt von seinem leidenschaftlichen Engagement für die Demokratie»
Jan 2024
2024_schaeuble_laudatio_villiger_intro

Laudatio von Kaspar Villiger

Wir gedenken des kürzlich verstorbenen Wolfgang Schäuble, dessen Tod uns zutiefst betrübt. Unsere Gedanken sind bei seiner Familie und seinen Angehörigen. Sein Vortrag an der Universität Zürich im Oktober letzten Jahres ist uns noch sehr präsent. Der ehemalige Bundesrat Kaspar Villiger hielt die Laudatio vor Dr. Schäubles Festrede – eine Hommage an eine politische Galionsfigur, die Wolfgang Schäuble verkörpert hat.

Im Namen der UBS Foundation und des UBS Centers for Economics in Society möchte ich Sie zum heutigen Anlass mit einem der bedeutendsten deutschen und europäischen Politiker begrüssen. Ich danke Ihnen, Herr Dr. Schäuble, sehr herzlich, dass Sie uns die Ehre erweisen, heute zu uns zu sprechen.

Als ich das zweifelhafte Vergnügen hatte, mich mit explodierenden Schulden herumzuschlagen, war zu Beginn Theo Waigel mein deutscher Kollege. Er pflegte ein kleines Gedicht aufzusagen, von dem er behauptete, es stamme von Franz Grillparzer, der seinerzeit im königlich-kaiserlichen Finanzministerium in Wien arbeitete. Es lautet wie folgt:

Der Minister des Äussern will sich nie äussern, der Minister des Innern kann sich nie erinnern, der Minister der Kriege kennt keine Siege, doch nach der Geige des Ministers der Finanzen müssen alle tanzen!

Nur sind, wie wir beide wissen, die Tanzenden ziemlich widerborstig. Gestatten Sie mir nun aber einige Bemerkungen zu unserem Referenten!

Wenn einer, der seit über 50 Jahren in einem Parlament sitzt, nicht schon vor 30 Jahren als Sesselkleber weggewählt worden ist, muss er schon etwas sein und können. Nicht weniger als 14mal hat Wolfgang Schäuble seit 1972 seinen Wahlkreis gewonnen. Das ist ein Vertrauensbeweis, wie er in einer Demokratie einem Politiker nur selten zuteilwird. Aber seine Wählerschaft hat offenbar gespürt, dass da einer am Werk ist, der etwas bewegt, der zupackt, der Klartext spricht, der vielleicht nicht immer bequem ist, aber auf den immer Verlass ist. So ist denn Wolfgang Schäubles Karriere eindrücklich. Ich will nur stichwortartig die wichtigsten Stationen aufzählen: 1972 Wahl in den Bundestag, 1984 bis 89 Chef des Kanzleramtes und Minister für besondere Aufgaben und damit Helmut Kohls engster Berater, 1989 bis 1991 Innenminister. In diese Zeit fällt einer seiner grössten Erfolge, aber auch sein grösster Schicksalsschlag: Am 31. August 1990 unterzeichnet er den historischen Einigungsvertrag zwischen der BRD und der DDR, den er mit dem Verhandlungsführer der DDR, Staatssekretär Günther Krause, in nur 7 Wochen ausgehandelt hat, und am 12. Oktober wird er von einem psychisch kranken Mann an einer Wahlveranstaltung niedergeschossen und ist seitdem vom dritten Brustwirbel an abwärts gelähmt. Mit eisernem Willen nimmt er die politische Arbeit schon bald wieder auf. Von 1991 bis 2000 leitet er die CDU/CSU-Fraktion, und 2005 ernennt ihn Angela Merkel zum Innenminister. 2009, in der verrückten Zeit der Finanzkrise, wird er Finanzminister und prägt massgeblich die Arbeit der Eurogruppe. Damit wird er zum eigentlichen Manager der Eurokrise. Gleichzeitig muss er sich mit den heimischen Finanzen herumschlagen. 2010 setzt er das grösste Sparpaket in der Geschichte der BRD von 80 Milliarden durch, und er ist seit 1969, als Franz Josef Strauss Kassenwart war, der erste Finanzminister, der einen ausgeglichenen Haushalt schafft. Seither ist seine «schwarze Null» legendär geworden. 2017 schliesslich wird er Präsident des Bundestages, und 2021, als die CDU in die Opposition gehen muss, hält er als Alterspräsident eine bedeutende und mutige Rede zur Eröffnung der neuen Legislatur.

Mich haben in meiner politischen Karriere nur wenige Politiker derart beeindruckt, wie Wolfgang Schäuble. Ich will gerne kurz beschreiben, warum.

Wer sich im Internet über Wolfgang Schäuble kundig macht, stösst auf Adjektive wie hochintelligent, dossierfest, eigenständig, effizient, ungeduldig, oder auch Substantive wie Staatsmann, Denker, Disziplin, Pflichtbewusstsein, Loyalität, Arbeitsethos oder gar Fels in der Brandung. Also alles andere als das, was man unter einem opportunistischen, biegsamen und umfragegeleiteten politischen Zeitgeistreiter versteht, wie sie sich heutzutage häufig in der Politik tummeln. Als Finanzminister lässt er sich von klaren und bewährten ordnungspolitischen Prinzipien leiten wie Subsidiarität, fiskalische Äquvalenz (wer zahlt, befiehlt), Nachhaltigkeit (spare in der Zeit, so hast Du in der Not), Eigenverantwortung oder Einheit von Kontrolle und Haftung, Prinzipien, mit denen man sich nicht nur Freunde macht und mit denen er zeitweise auch zum Schrecken der EU-Südländer geworden ist. Auch ich habe lernen müssen, dass man sich als Finanzminister mit Vorteil mit dem berühmten Satz von Albert Camus tröstet: «Il faut imaginer Sisyphe heureux».

Aber Wolfgang Schäuble wusste natürlich auch immer, dass Finanzpolitik nicht einfach trockene Buchhaltung oder gar Selbstzweck ist. Jede Zahl bildet Leben, Ereignisse, Prozesse, Konflikte u.dgl. ab. Finanzpolitische Stabilität ist Voraussetzung für nachhaltiges Wachstum und für die Resilienz eines Staates. Aber alles, was er als Politiker unternahm, war eingebettet in seine Vision des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaates, und dies nicht nur mit Blick auf sein Heimatland, sondern auch auf Europa. So wurde er den auch für seine Verdienste um die Wiedervereinigung und Neuordnung Europas mit dem renommierten Karlspreis ausgezeichnet.

Was mich persönlich aber immer wieder besonders beeindruckt, ist sein leidenschaftliches Einstehen für die Demokratie. 2018 sagte er in einem Interview in der NZZ, die grösste Gefahr für die Demokratie sei die, dass man sie für selbstverständlich halte. Dieser Satz hat sich in der Zwischenzeit als prophetisch erwiesen. Die freiheitliche rechtsstaatliche Demokratie ist wohl die einzige Regierungsform, die allen Menschen ein Leben einigermassen in Würde und Wohlstand ermöglicht. Aber sie ist störungsanfällig und verletzlich, und das erleben wir ja gerade jetzt tagtäglich, da die Demokratie weltweit unter Druck steht, und zwar sowohl von innen wie von aussen her. Umso wichtiger sind Stimmen wie die seine.

Ich habe schon das Attentat im Jahre 1990 erwähnt, also vor 33 Jahren. Immer, wenn ich feststelle, dass ich mich über irgendein Wehwechen aufzuregen beginne, deren es im Alter ja das eine oder andere gibt, und wenn mir dann plötzlich Menschen wie Wolfgang Schäuble in den Sinn kommen, steigt mir erstens die Schamröte ins Gesicht und zweitens bin ich wieder hochzufrieden. Das Tempo, mit welchem er nach dem Schicksalsschlag die Arbeit wieder aufnahm, die gnadenlose Härte gegen sich selbst, mit der er sich ins überaus anspruchsvolle Berufsleben zurückkämpfte, sein hohes Arbeitsethos, aber auch seine Loyalität den demokratischen Institutionen und seinen hohen Ämtern gegenüber machen ihn zu einem Vorbild und nötigen Bewunderung und Respekt ab.

Herr Dr. Schäuble, Sie haben das Wort!

Wir gedenken des kürzlich verstorbenen Wolfgang Schäuble, dessen Tod uns zutiefst betrübt. Unsere Gedanken sind bei seiner Familie und seinen Angehörigen. Sein Vortrag an der Universität Zürich im Oktober letzten Jahres ist uns noch sehr präsent. Der ehemalige Bundesrat Kaspar Villiger hielt die Laudatio vor Dr. Schäubles Festrede – eine Hommage an eine politische Galionsfigur, die Wolfgang Schäuble verkörpert hat.

Im Namen der UBS Foundation und des UBS Centers for Economics in Society möchte ich Sie zum heutigen Anlass mit einem der bedeutendsten deutschen und europäischen Politiker begrüssen. Ich danke Ihnen, Herr Dr. Schäuble, sehr herzlich, dass Sie uns die Ehre erweisen, heute zu uns zu sprechen.

Als ich das zweifelhafte Vergnügen hatte, mich mit explodierenden Schulden herumzuschlagen, war zu Beginn Theo Waigel mein deutscher Kollege. Er pflegte ein kleines Gedicht aufzusagen, von dem er behauptete, es stamme von Franz Grillparzer, der seinerzeit im königlich-kaiserlichen Finanzministerium in Wien arbeitete. Es lautet wie folgt:

Kaspar Villiger während seiner Begrüssung am 24. Oktober 2023 an der Universität Zürich © UBS Center / Ueli Christoffel
Kaspar Villiger während seiner Begrüssung am 24. Oktober 2023 an der Universität Zürich © UBS Center / Ueli Christoffel

Die Zukunft der freiheitlichen Demokratie

Demokratien in Gefahr

Der Vortrag von Wolfgang Schäuble bildete den Auftakt einer dreiteiligen Reihe von Veranstaltungen des UBS Center for Economics in Society zum Thema Demokratien in Gefahr. Steven Pinkers Vortrag folgte am 7. November an der Universität Zürich. Der Psychologe und Bestsellerautor sprach über Rationalität und ihre Bedeutung für die liberale Demokratie. Höhepunkt der Reihe war das alljährliche Forum for Economic Dialogue am 13. November im Kongresshaus Zürich, wo mit Nobelpreisträgerin Herta Müller, den Demokratieexperten Jason Brennan und Daniel Ziblatt und vielen weiteren Rednerinnen und Rednern das Thema Democracies under threat beleuchtet und diskutiert wurde.

Der Vortrag von Wolfgang Schäuble bildete den Auftakt einer dreiteiligen Reihe von Veranstaltungen des UBS Center for Economics in Society zum Thema Demokratien in Gefahr. Steven Pinkers Vortrag folgte am 7. November an der Universität Zürich. Der Psychologe und Bestsellerautor sprach über Rationalität und ihre Bedeutung für die liberale Demokratie. Höhepunkt der Reihe war das alljährliche Forum for Economic Dialogue am 13. November im Kongresshaus Zürich, wo mit Nobelpreisträgerin Herta Müller, den Demokratieexperten Jason Brennan und Daniel Ziblatt und vielen weiteren Rednerinnen und Rednern das Thema Democracies under threat beleuchtet und diskutiert wurde.

© UBS Center / Ueli Christoffel
© UBS Center / Ueli Christoffel