Als Elena und Nicolae Ceauşescu am 25. Dezember 1989 in einer Kaserne der rumänischen Kleinstadt Târgoviște erschossen wurden, sass ich in Berlin vor dem Fernseher und weinte. Mein erster Gedanke war, ich hab sie überlebt. Denn auch in Berlin bekam ich immer noch Todesdrohungen vom rumänischen Geheimdienst. Aber geweint habe ich auch, weil ich bei den beiden Ceaușescus vor der Hinrichtung zum ersten Mal menschliche Regungen sah. Ich sah zwei Bauern mit spitzen Blicken, stechend vor Angst. Es ergriff mich ein Mitleid gegen meinen Verstand.
Die letzte Demonstration, die Ceaușescu zusammentrommeln liess, um ihn zu bejubeln, kippte zu einem wilden Pfeifkonzert. Er winkte noch ein paar Mal verwirrt und ungläubig vom Balkon. Dann verschwand er mit einem Hubschrauber. Als man ihn einige Tage später wieder sah, wurde er vor ein improvisiertes Standgericht geführt. Das Todesurteil kam völlig überraschend. Es war Dezember und erst im November wurde der Diktator auf dem Kongress der kommunistischen Partei einstimmig, mit minutenlangen stehenden Ovationen wiedergewählt. So schnell ändern sich die Zeiten, dachte ich.
Damals lebte ich im Exil in Berlin und mit den Glücks- und Mitleidstränen in den Augen dachte ich, für mich hören jetzt die Todesdrohungen auf. Aber sie kamen weiter, noch ein ganzes Jahr durchs Telefon. Und in dem verelendeten Land, aus dem Unzählige fliehen mussten, kommt nun endlich eine neue Zeit, dachte ich. Es muss und wird sich alles ändern.
Auszug aus der Rede von Herta Müller, gehalten am 13. November 2023 im Kongresshaus Zürich anlässlich des UBS Center Forum for Economic Dialogue zum Thema «Demokratien in Gefahr».
Als Elena und Nicolae Ceauşescu am 25. Dezember 1989 in einer Kaserne der rumänischen Kleinstadt Târgoviște erschossen wurden, sass ich in Berlin vor dem Fernseher und weinte. Mein erster Gedanke war, ich hab sie überlebt. Denn auch in Berlin bekam ich immer noch Todesdrohungen vom rumänischen Geheimdienst. Aber geweint habe ich auch, weil ich bei den beiden Ceaușescus vor der Hinrichtung zum ersten Mal menschliche Regungen sah. Ich sah zwei Bauern mit spitzen Blicken, stechend vor Angst. Es ergriff mich ein Mitleid gegen meinen Verstand.
Die letzte Demonstration, die Ceaușescu zusammentrommeln liess, um ihn zu bejubeln, kippte zu einem wilden Pfeifkonzert. Er winkte noch ein paar Mal verwirrt und ungläubig vom Balkon. Dann verschwand er mit einem Hubschrauber. Als man ihn einige Tage später wieder sah, wurde er vor ein improvisiertes Standgericht geführt. Das Todesurteil kam völlig überraschend. Es war Dezember und erst im November wurde der Diktator auf dem Kongress der kommunistischen Partei einstimmig, mit minutenlangen stehenden Ovationen wiedergewählt. So schnell ändern sich die Zeiten, dachte ich.
Die Freiheit könnte uns gestohlen werden Republik Aufsatz von Herta Müller vom 20.11.2023 lesen
This year’s UBS Center Forum for Economic Dialogue focused on the current state of democracies, which are increasingly under pressure. The event was characterized by exciting and differentiated discussions. Our renowned guests were sought-after interview partners – not only by the press but also on stage, as this short excerpt shows.
Nobel laureate Herta Müller interviewed on stage by Carolin Roth:
Will Putin emerge from the conflict between Israel and Hamas as a winner or a loser?
I think this orgy of bloodshed in Israel has definitely benefited him. Because people are now inevitably looking at Israel. And Putin has always been antisemitic – first covertly, now more and more clearly.
This year’s UBS Center Forum for Economic Dialogue focused on the current state of democracies, which are increasingly under pressure. The event was characterized by exciting and differentiated discussions. Our renowned guests were sought-after interview partners – not only by the press but also on stage, as this short excerpt shows.
Nobel laureate Herta Müller interviewed on stage by Carolin Roth:
Will Putin emerge from the conflict between Israel and Hamas as a winner or a loser?
Herta Müller was born in Romania in 1953, studied Romanian and German literature in Timisoara, and later worked as a translator in a machine factory. Because she refused to spy on her colleagues for the Romanian secret service (Securitate), she lost her job and became a target of the Securitate herself. In 1987, Herta Müller came to Germany, where she was unable to shake off Romania’s communist regime and the persecuting terror of the Securitate for a long time. They were still on her heels in West Germany. The persistent presence of persecution by the regime is reflected in her numerous award-winning publications. In 2009, she received the Nobel Prize in Literature. Her work has been translated into over 50 languages.
Herta Müller was born in Romania in 1953, studied Romanian and German literature in Timisoara, and later worked as a translator in a machine factory. Because she refused to spy on her colleagues for the Romanian secret service (Securitate), she lost her job and became a target of the Securitate herself. In 1987, Herta Müller came to Germany, where she was unable to shake off Romania’s communist regime and the persecuting terror of the Securitate for a long time. They were still on her heels in West Germany. The persistent presence of persecution by the regime is reflected in her numerous award-winning publications. In 2009, she received the Nobel Prize in Literature. Her work has been translated into over 50 languages.