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Ich freue mich, Ihnen hier eine besondere Ausgabe unserer Public-Paper-Reihe präsentieren zu dürfen. Für einmal stehen nicht wissenschaftliche Experimente und Theorien im Vordergrund, sondern die Beziehung zwischen zwei Systemen: Wissenschaft und Politik. Das Zusammenspiel dieser beiden Bereiche ist für eine funktionierende moderne Gesellschaft essenziell. Davon bin ich überzeugt und es ist daher mein Anspruch an meine eigene Arbeit, den Wissenstransfer und Dialog zu fördern und zu stärken – nicht nur mit der Politik, sondern auch mit Wirtschaft und Gesellschaft. Die Gründung des UBS Center for Economics in Society vor genau zehn Jahren ist aus dieser Motivation entstanden. Die Erfolgsgeschichte des Centers ist ein Paradebeispiel dafür, wie sich unterschiedliche Systeme gegenseitig befruchten können. Es sind diese Schnittstellen des Dialogs und Austauschs, wo Innovation entsteht und Antworten auf die grossen Fragen unserer Zeit gefunden werden.
Mit dem Autor dieser Ausgabe verbindet mich eine Freundschaft, die aus einer solchen Schnittstelle entstanden ist. Kaspar Villiger ist ein liberaler Denker, ein Visionär. Er versteht es, die komplexe Beziehung von Wissenschaft und Politik akkurat zu beschreiben und zu analysieren – illustriert und untermauert durch seinen immensen Erfahrungsschatz als Politiker und Unternehmer. Ich danke ihm für diesen Exkurs, der uns eine neue Perspektive eröffnet.
Prof. Ernst Fehr, Direktor des UBS Center for Economics in Society
Ich freue mich, Ihnen hier eine besondere Ausgabe unserer Public-Paper-Reihe präsentieren zu dürfen. Für einmal stehen nicht wissenschaftliche Experimente und Theorien im Vordergrund, sondern die Beziehung zwischen zwei Systemen: Wissenschaft und Politik. Das Zusammenspiel dieser beiden Bereiche ist für eine funktionierende moderne Gesellschaft essenziell. Davon bin ich überzeugt und es ist daher mein Anspruch an meine eigene Arbeit, den Wissenstransfer und Dialog zu fördern und zu stärken – nicht nur mit der Politik, sondern auch mit Wirtschaft und Gesellschaft. Die Gründung des UBS Center for Economics in Society vor genau zehn Jahren ist aus dieser Motivation entstanden. Die Erfolgsgeschichte des Centers ist ein Paradebeispiel dafür, wie sich unterschiedliche Systeme gegenseitig befruchten können. Es sind diese Schnittstellen des Dialogs und Austauschs, wo Innovation entsteht und Antworten auf die grossen Fragen unserer Zeit gefunden werden.
Mit dem Autor dieser Ausgabe verbindet mich eine Freundschaft, die aus einer solchen Schnittstelle entstanden ist. Kaspar Villiger ist ein liberaler Denker, ein Visionär. Er versteht es, die komplexe Beziehung von Wissenschaft und Politik akkurat zu beschreiben und zu analysieren – illustriert und untermauert durch seinen immensen Erfahrungsschatz als Politiker und Unternehmer. Ich danke ihm für diesen Exkurs, der uns eine neue Perspektive eröffnet.
Ziel der Politik muss es sein, den Menschen ein Leben in Würde und Wohlstand zu ermöglichen. Wissenschaft ist unerlässlich, um dieses Ziel zu erreichen. Aber sie kann den für die Politik zuständigen Personen ihre Verantwortung nicht abnehmen, denn Politik muss neben dem wissenschaftlich Optimalen auch andere Aspekte berücksichtigen wie politische Durchsetzbarkeit, Kosten, Referendumsrisiken oder Vereinbarkeit mit internationalen Verträgen. Wissenschaft erweitert unser Wissen mittels transparenter und überprüfbarer Verfahren. Sie ist ein nie endender Prozess der Suche nach Wahrheit. Oft sind Wissenschaftler in zentralen Fragen dabei auch (noch) uneinig. Das alles eröffnet der Politik auch Missbrauchsmöglichkeiten: Bei Uneinigkeit sucht man den Experten, dessen Meinung gerade passt, man lässt Gefälligkeitsgutachten erstellen, oder man beauftragt Experten bewusst mit der Suche nach Argumenten, die die eigenen Vorurteile bestätigen, usw. Das alles ändert aber nichts daran, dass die Politik zur Bewältigung der Komplexität der modernen Welt wissenschaftsbasiertes Fachwissen benötigt. Da der Staat nicht umfassend über solches Fachwissen verfügen kann, muss er das in Wirtschaft, Hochschulen und Zivilgesellschaft reichlich vorhandene Wissen auf geeignete Weise nutzen. Politik nutzt die Wissenschaft tendenziell eher zu wenig, häufig auch wegen eines gewissen Besserwissertums. Es darf von der Wissenschaft aber auch erwartet werden, dass sie Erkenntnisse zu gewinnen sucht, die politische Probleme praktisch lösen helfen. Die Wissenschaft hat eine Bringpflicht, die Politik eine Holpflicht.
Ziel der Politik muss es sein, den Menschen ein Leben in Würde und Wohlstand zu ermöglichen. Wissenschaft ist unerlässlich, um dieses Ziel zu erreichen. Aber sie kann den für die Politik zuständigen Personen ihre Verantwortung nicht abnehmen, denn Politik muss neben dem wissenschaftlich Optimalen auch andere Aspekte berücksichtigen wie politische Durchsetzbarkeit, Kosten, Referendumsrisiken oder Vereinbarkeit mit internationalen Verträgen. Wissenschaft erweitert unser Wissen mittels transparenter und überprüfbarer Verfahren. Sie ist ein nie endender Prozess der Suche nach Wahrheit. Oft sind Wissenschaftler in zentralen Fragen dabei auch (noch) uneinig. Das alles eröffnet der Politik auch Missbrauchsmöglichkeiten: Bei Uneinigkeit sucht man den Experten, dessen Meinung gerade passt, man lässt Gefälligkeitsgutachten erstellen, oder man beauftragt Experten bewusst mit der Suche nach Argumenten, die die eigenen Vorurteile bestätigen, usw. Das alles ändert aber nichts daran, dass die Politik zur Bewältigung der Komplexität der modernen Welt wissenschaftsbasiertes Fachwissen benötigt. Da der Staat nicht umfassend über solches Fachwissen verfügen kann, muss er das in Wirtschaft, Hochschulen und Zivilgesellschaft reichlich vorhandene Wissen auf geeignete Weise nutzen. Politik nutzt die Wissenschaft tendenziell eher zu wenig, häufig auch wegen eines gewissen Besserwissertums. Es darf von der Wissenschaft aber auch erwartet werden, dass sie Erkenntnisse zu gewinnen sucht, die politische Probleme praktisch lösen helfen. Die Wissenschaft hat eine Bringpflicht, die Politik eine Holpflicht.
Die Beziehung zwischen Wissenschaft und Politik ist also nicht spannungsfrei. Aber gute Politik kommt in vielen Bereichen mit der Komplexität der politischen Herausforderungen ohne wissenschaftliche Fundierung nicht zurecht. Man könnte die Sollbeziehung zwischen Wissenschaft und Politik auf die Formel reduzieren, dass die Wissenschaft eine Bringpflicht, die Politik eine Holpflicht hat. Dabei muss sich die Wissenschaft auf die Beratungsfunktion beschränken. Sie kann und darf der Politik ihre Verantwortung nicht abnehmen. Sie muss ferner darauf achten, dass sie sich nicht korrumpieren lässt, indem sie sich beispielsweise lukrativer Aufträge wegen vor den Karren einer politischen Bewegung oder Ideologie spannen lässt. Umgekehrt darf die Politik ihre Verantwortung auch nicht einfach auf die Wissenschaft abschieben.
Die Bringpflicht der Wissenschaft lässt sich in vier Komponenten aufteilen.
Erstens geht es um die Gewinnung von neuem Wissen mittels der geschilderten wissenschaftlichen Verfahren. Das wird umso fruchtbarer geschehen, desto freiheitlicher Umfeld, Regeln und internationaler Austausch sind. Dabei geht es selbstverständlich nicht nur um Wissen, das mit dem Ziel politischer oder wirtschaftlicher Verwertbarkeit gewonnen wird. Forschungsfreiheit führt gewissermassen zur Wissensgewinnung allein um des Wissens willen. Ob und wie solches Wissen verantwortungsvoll angewandt werden kann, zeigt sich oft erst mit der Zeit.
Zweitens geht es um die Lehre, also die Weitergabe des Wissens von Generation zu Generation, und um die Einspeisung des Wissens in die mannigfachen beruflichen Tätigkeitsfelder der Menschen, also um die Anwendung.
Drittens muss das Wissen in verständlicher Form in das Bewusstsein von Politik und Öffentlichkeit gelangen. Das ist eine äusserst schwierige Aufgabe, denn die Zusammenhänge sind häufig komplex, und die Sprache der Wissenschaft zu verstehen, ist anspruchsvoll. Die Umsetzung in eine allgemein verständliche Form ist aber risikobehaftet, denn Vereinfachungen führen häufig zu Verzerrungen und Verfälschungen. Mit wissenschaftlichem Halbwissen kann auch Schindluder getrieben werden. Mittel für solchen Wissenstransfer gibt es zahllose, angefangen von Kolumnen oder Essays von Wissenschaftlern über populärwissenschaftliche Medienbeiträge von spezialisierten Wissenschaftsjournalisten bis zu Konferenzen, Seminarien oder Vorlesungen an Volkshochschulen. Dass bei diesen Prozessen die Medien eine besondere Verantwortung haben, liegt auf der Hand.
Viertens müssen sich Wissenschaftler auch dem öffentlichen Disput um Fragen der Wissenschaft stellen, der politischen Kontroverse, der Kritik.
Um die spezifischen Bedürfnisse der Politik abzudecken, stehen der Wissenschaft zahlreiche Mittel zur Verfügung. Ganz wesentlich ist zunächst die Lehre. Sie befähigt die Lernenden, in ihren späteren Berufen – etwa in der Verwaltung, bei Beratungsfirmen oder in Parteizentralen – wissenschaftliche Kenntnisse einzubringen und die Entwicklung wissenschaftlicher Erkenntnisse zu verfolgen und zu verstehen. Für den direkten Wissenstransfer gibt es ebenfalls viele Möglichkeiten, angefangen bei wissenschaftlichen Artikeln und Publikationen über Vorträge und Seminare bis zu Gutachten und politikbegleitenden Beratungsmandaten. Aber am wichtigsten ist natürlich die Entdeckung und Erarbeitung des einschlägigen Wissens. Hier habe ich den Eindruck, dass gegenüber früher viel intensiver Probleme erforscht werden, die für die praktische Politik relevant sind. Ich denke etwa an die Optimierung von Steuersystemen, die Wirksamkeit von Entwicklungshilfe, die Konzeptionierung von Umweltpolitik (vgl. dazu Hémous, 2021), die Strukturierung von politischen Institutionen, die Bekämpfung von Armut, die Gestaltung von Vergütungssystemen oder die Begünstigung kooperativer Unternehmenskulturen (vgl. dazu Weber, 2015, und Fehr, 2021). Mit alledem vermag die Wissenschaft der Politik weit bessere Hilfen anzubieten, als dies zur Zeit meines Eintritts in das Berufsleben der Fall war.
Ich habe den Eindruck, dass die Wissenschaft ihre Bringpflicht besser erfüllt als die Politik ihre Holpflicht. Zu deren Erfüllung stehen der Politik viele Instrumente zur Verfügung, die ich nicht alle im Einzelnen aufführen kann. Ich will es bei einigen Bemerkungen bewenden lassen. Angesichts der Komplexität und Vielfalt der Probleme, deren sich die Politik annehmen muss, kann es sich ein Kleinstaat wie die Schweiz nicht leisten, für sämtliche Fachgebiete über eigene Spezialisten zu verfügen. Er muss sich Fachwissen von aussen besorgen. Aber er muss zunächst in der Lage sein, dieses Fachwissen überhaupt zu verstehen und umzusetzen. Deshalb kommt er ohne wissenschaftlich geschultes Personal nicht aus. Ich erwähne nur ein Beispiel: Weil Fiskalpolitik für den Wohlstand eines Landes von ausschlaggebender Bedeutung ist, haben wir seinerzeit im Finanzdepartement ein sehr qualifiziertes Ökonomenteam gebildet. Fruchtbar kann auch der personelle Austausch zwischen Staat und Wissenschaft sein. Ein Beispiel ist der renommierte Ökonom Aymo Brunetti, den das Volkswirtschaftsdepartement 1999 zur Mitgestaltung der Wirtschaftspolitik ins SECO geholt hatte, bis er 2012 wieder an die Universität Bern als Direktor des Departementes für Volkswirtschaft zurückkehrte.
Wissen ausserhalb der Verwaltung nun ist in unserem hoch entwickelten Land in reichem Ausmass vorhanden, in Universitäten und Hochschulen ebenso wie etwa in den verschiedensten privaten Instituten oder in der Wirtschaft. So setzt der Staat häufig Expertenkommissionen ein, bestellt Gutachten, erteilt Forschungsaufträge oder organisiert Hearings. Das wird zwar vor allem von staatskritischen Kreisen häufig als Geldverschwendung kritisiert. Diese Kritik ist so pauschal aber nicht gerechtfertigt, denn solches schafft einen notwendigen Informationsfluss zwischen Wissenschaft und Politik. Aber es ist klar, dass auch solche Instrumente wie alles beim Staat kostenbewusst und effizienzorientiert eingesetzt werden müssen. Besonders wichtig ist die Sicherung der Qualität von Gutachten und Studien im Auftrag des Staates. Dabei ist vor allem darauf zu achten, dass nicht, wie das etwa schon geschehen ist, auf intransparenten politischen Verflechtungen beruhende wissenschaftliche Hoflieferantenverhältnisse entstehen. Es darf von den Akteuren in Staat und Politik generell erwartet werden, dass sie sich auf ihrem Fachgebiet auch mit dem Stand der Wissenschaft befassen. Das gilt auch für die Chefs, beispielsweise die Bundesräte. Das kann auf unterschiedlichste Art geschehen. Nicht jeder wird, wie ich das mit Gewinn getan habe, einen Teil seiner Ferien und Wochenenden dem Durchackern dicker ökonomischer Wälzer widmen wollen. Es gibt Fachliteratur, es gibt die Lektüre qualitativ hochstehender Zeitungen und es gibt die Möglichkeit, sich von den eigenen Fachleuten periodisch briefen zu lassen. Ich habe auch mit zwei anderen Methoden gute Erfahrungen gemacht: mit dem Zusammenführen qualifizierter Experten mit verwaltungsinternen Fachleuten zu einer gut vorbereiteten und strukturierten Diskussion über ein definiertes Thema und mit dem ausgiebigen Vieraugengespräch mit einem hervorragenden und erfahrenen Wissenschaftler, ebenfalls über ein definiertes Thema. Man gewinnt dann sehr rasch einen Eindruck, wo Konfliktzonen zwischen Theorie und Praxis bestehen, wo wissenschaftliche Impulse nützlich sind und wo noch Klärungsbedarf besteht. Gerade die kontroverse Diskussion zwischen Fachleuten ist oft sehr erhellend. Die Funktion des Chefs besteht dann vor allem darin, die Diskussionsdisziplin zu sichern, die richtigen Fragen zu stellen und zuzuhören.
Eigentlich erfüllt die Wissenschaft die legitimen Erwartungen der Politik. Sie liefert ihr nützliches Material in Hülle und Fülle. Dieses hat in den letzten Jahrzehnten an Praxisnähe gewonnen, weil es sich mehr und mehr an der beobachteten Realität orientiert. Gerade die Coronakrise ist dafür ein gutes Beispiel. Dass angesichts der diffusen Lage und der Wandelbarkeit des Virus viele Ergebnisse nicht eindeutig und eher verwirrlich sind, kann nicht der Wissenschaft als permanenten Prozess angelastet werden. Es liegt an der Politik, daraus brauchbare Schlüsse zu ziehen. Weil wissenschaftliche Erkenntnisse meist keine absoluten Wahrheiten bedeuten, können sie uminterpretiert und damit politisch instrumentalisiert werden. Es entspricht wohlverstandener politischer Verantwortung, dies nach bestem Wissen und Gewissen zu vermeiden. Hier besteht bei der Politik noch Verbesserungsbedarf.
Die Beziehung zwischen Wissenschaft und Politik ist also nicht spannungsfrei. Aber gute Politik kommt in vielen Bereichen mit der Komplexität der politischen Herausforderungen ohne wissenschaftliche Fundierung nicht zurecht. Man könnte die Sollbeziehung zwischen Wissenschaft und Politik auf die Formel reduzieren, dass die Wissenschaft eine Bringpflicht, die Politik eine Holpflicht hat. Dabei muss sich die Wissenschaft auf die Beratungsfunktion beschränken. Sie kann und darf der Politik ihre Verantwortung nicht abnehmen. Sie muss ferner darauf achten, dass sie sich nicht korrumpieren lässt, indem sie sich beispielsweise lukrativer Aufträge wegen vor den Karren einer politischen Bewegung oder Ideologie spannen lässt. Umgekehrt darf die Politik ihre Verantwortung auch nicht einfach auf die Wissenschaft abschieben.
Die Bringpflicht der Wissenschaft lässt sich in vier Komponenten aufteilen.
Kaspar Villiger is a Swiss businessman, politician and former member of the Swiss Federal Council (1989 – 2003), serving first as Minister of Defence and then as Minister of Finance. He was President of the Confederation twice, in 1995 and again in 2002. On April 15, 2009, he was elected Chairman of the Board of UBS, holding this post until May 3, 2012. Villiger is a member of the Global Leadership Foundation, an organization which works to promote good governance around the world. In 2012 he became Chairman of the new UBS Foundation of Economics in Society.
Kaspar Villiger is a Swiss businessman, politician and former member of the Swiss Federal Council (1989 – 2003), serving first as Minister of Defence and then as Minister of Finance. He was President of the Confederation twice, in 1995 and again in 2002. On April 15, 2009, he was elected Chairman of the Board of UBS, holding this post until May 3, 2012. Villiger is a member of the Global Leadership Foundation, an organization which works to promote good governance around the world. In 2012 he became Chairman of the new UBS Foundation of Economics in Society.