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Facebook, Amazon und Apple verdienen Milliarden in aller Welt – doch viele Steuerkassen sehen davon nur relativ wenig. Geht es nach den grossen Industrieländern, soll sich das bald ändern: Die Finanzminister der G7-Nationen haben sich auf eine globale Mindeststeuer für Grosskonzerne geeinigt. Ihre Höhe: 15 Prozent. Davon betroffen ist auch die Schweiz, fällt doch ein wichtiger Standortvorteil weg. Viele Kantone müssten ihre Steuern anheben. Ob nun ein Exodus grosser Unternehmen zu befürchten ist, und wie die Schweiz gegensteuern kann, erklärt Prof. Florian Scheuer von der Universität Zürich im Interview mit «blue News».
Dieses Interview wurde von Andreas Fischer geführt und ursprünglich in blue News, 6/2021 publiziert.
Mit ein paar Tagen Abstand und nach dem ersten Aufschrei: Wie gross sind die Auswirkungen einer globalen Mindeststeuer auf die Schweiz wirklich?
Florian Scheuer: Es ist sicherlich erst mal nachteilig für die Schweiz. Es schon seit Längerem klar, dass die OECD, die G7 und andere Organisationen wie der Internationale Währungsfonds (IWF) auf verstärkte Koordination bei den Unternehmenssteuern drängen. Dass sie nun wirklich kommen, ist nicht völlig überraschend, vor allem mit der neuen Regierung in den USA, die sich verstärkt engagiert hat.
Was sind denn die konkreten Nachteile für die Schweiz?
Florian Scheuer: Das jetzt beschlossene Paket hat zwei zentrale Elemente. Einmal die globale Mindeststeuer auf Gewinne, wodurch der Steuerwettbewerb, von dem die Schweiz jahrelang profitiert hat, eingeschränkt wird. Wichtiger ist aber die zweite Regelung, nämlich, dass grosse multinationale Unternehmen basierend auf ihrem Umsatz besteuert werden sollen – und zwar in den Ländern, in denen sie den Umsatz erzielen und nicht unbedingt in dem Land, in dem sie den Hauptsitz haben.
Das ist nachteilig für die Steuereinnahmen der Schweiz, die als kleines Land nur einen kleinen Absatzmarkt hat und traditionell sehr kompetitiv war, die Hauptsitze der Firmen anzuziehen. Die Schweiz kann nicht einfach dafür sorgen, dass sie plötzlich ein grösserer Absatzmarkt wird. Die Gewinner sind Länder wie die USA und die grossen europäischen Volkswirtschaften wie Deutschland und Frankreich.
Die Unternehmenssteuer ist in der Schweiz in den Kantonen unterschiedlich hoch: Ist es vonseiten des Bundes überhaupt durchsetzbar, dass überall ein Mindeststeuersatz gilt?
Die Kantone haben grundsätzlich ihre eigene Steuergebungskompetenz. Anderseits könnte der Bund mit einer harmonisierten Unternehmenssteuer die Differenz zum Mindeststeuersatz abgreifen, was die internationalen Bedingungen erfüllen, aber natürlich den interkantonalen Steuerwettbewerb aushebeln würde.
Es gab von Wirtschaftsverbänden sofort Befürchtungen, dass Firmen aus der Schweiz abwandern: Sind diese berechtigt?
Firmen können nicht mehr wie zuvor dadurch Steuern sparen, dass sie ihren Hauptsitz in ein Land mit niedrigen Steuern legen. Sie werden nun dort besteuert, wo sie ihre Produkte verkaufen. Steuertechnisch wird es also weniger relevant, wo sie ihren Hauptsitz haben. Es wird nun verstärkt auf andere Faktoren geschaut, die einen ökonomisch günstigen Hauptsitz ermöglichen. Zum Beispiel bei den Lohnkosten, und die sind in der Schweiz recht hoch. Es wird aber nicht passieren, dass alle grossen Unternehmen aus der Schweiz abwandern, weil es hier natürlich viele andere Vorteile gibt.
Welche wären das?
Es gibt in der Schweiz viele hoch qualifizierte und spezialisierte Arbeitnehmer. Ausserdem gibt es Standortcluster: Pharmafirmen zum Beispiel siedeln sich gern dort an, wo es bereits andere Pharmafirmen gibt. Es kommt jetzt also darauf an, solche Agglomerationen zu erhalten. Aber wie gesagt: Die Steuervorteile, die sind jetzt natürlich reduziert. Dabei hat ein Steuerwettbewerb auch gewisse positive Effekte, weil er für Disziplin in der Fiskalpolitik sorgt. In den vergangenen Jahren ist jedoch die Erkenntnis gereift, dass es manche Länder damit übertrieben haben, die Körperschaftssteuern zu senken und auf Kosten anderer Länder Firmen anzuziehen. Das hat global gesehen zu einem ineffektiven Wettlauf mit unfairen Ergebnissen geführt.
Es gibt bereits die ersten Diskussionen darüber, wie der Wegfall der Steuervorteile kompensiert werden kann, um den Standort Schweiz attraktiv zu halten ...
Da zeichnet sich in der Tat eine grosse Debatte ab. Die G7 haben sich zwar gerade mit grossem Strich auf das Prinzip der Mindeststeuer und der teilweisen Neuberechnung der Steuerlast anhand des Umsatzes geeinigt. Nun aber wird es verstärkt um die Details gehen.
Zum Beispiel?
Da wäre die Frage nach der konkreten Steuerbasis, also: Was zählt denn alles zum Unternehmensgewinn? In der Schweiz etwa können unter Umständen im Rahmen der Patentbox-Regelung Forschungsausgaben vom Gewinn abgezogen werden. Wenn man sich bei solchen Mechanismen – die ganz unabhängig vom Steuersatz sind, aber effektiv die Steuerlast senken – nicht koordiniert, dann wird es schnell einen neuen Steuerwettbewerb geben.
Wie lässt sich ein solcher neuer Steuerwettbewerb vermeiden?
In den nächsten Wochen und Monaten wird es darauf ankommen, wie vor allem die federführende OECD die konkrete Berechnung der Steuerbasis koordiniert. In diesem Prozess hat die Schweiz vielleicht sogar noch die Möglichkeit, Ausnahmeregelungen wie die Patentbox unterzubringen. Das wäre dann vorteilhaft für den Standort, weil es hier viele forschungsintensive Unternehmen gibt.
Wird das Schwert der globalen Mindeststeuer durch solche Ausnahmen nicht stumpf?
Solche Regelungen würden für alle Länder gelten, und dadurch einen echten Standortwettbewerb ermöglichen. Aber: Die Schweiz kann zwar für sich entscheiden, was für sie optimal ist. Aber sie kann nicht mehr verhindern, dass Tochtergesellschaften von Schweizer Firmen in anderen Ländern mit der Mindeststeuer besteuert werden. Insofern ist es schon ein effektives Instrumentarium, das den Steuerwettbewerb sicherlich reduzieren wird und durch «kreative» Definitionen von Unternehmensgewinnen in Steueroasen wie Irland nicht so einfach umgangen werden kann.
Ursprünglich war die Mindestbesteuerung gedacht, um digitale Grosskonzerne wie Google, Facebook, Amazon von der Steuerflucht abzuhalten. Warum sind jetzt auch andere Branchen betroffen?
Die meisten grossen Techkonzerne sitzen in den USA: Europäische Länder wie Deutschland und Frankreich haben jahrelang beklagt, dass die Konzerne bei ihnen riesige Umsätze erzielen und Gewinne machen, ohne dort auch darauf Steuern zu bezahlen. Die US-Regierung wollte aber nicht, dass ihre Firmen in Europa zusätzlich besteuert werden. Die jetzige Lösung ist ein klassisches Paket. Von der Mindestbesteuerung profitieren vor allem die USA, weil die Gewinnverlagerung in andere Länder nicht mehr so einfach möglich ist. Gleichzeitig wurde ein Schritt in Richtung umsatzbasierte Besteuerung beschlossen, um auch die Europäer mit an Bord zu holen.
Werden sich alle Länder an die Abmachung halten?
Was mit Ländern passiert, die den Mindeststeuersatz nicht erheben, ist bislang noch nicht geklärt. Konkrete Sanktionen müssen noch verhandelt werden. Im extremsten Fall könnte es passieren, dass Länder, die die Mindeststeuer nicht erheben, keine Produkte mehr verkaufen dürfen. Aber man hat beim Datenaustausch bei den Banken ja gesehen, was passieren könnte. Damals haben die USA auf den Informationsaustausch bestanden, sonst hätten Schweizer Geldhäuser keine Geschäfte mehr auf US-Territorium machen können. Nach dieser Ankündigung wurde das Bankgeheimnis relativ schnell angepasst.
In der OECD sind nur 38 Staaten organisiert: Welche Auswirkungen haben die Beschlüsse der Organisation auf andere Länder?
Nichtmitglieder sind daran natürlich nicht gebunden. Aber die OECD hat eine Art Vorbild-Wirkung: Historisch gesehen haben sich ihre Beschlüsse auch in anderen Staaten relativ schnell durchgesetzt. Gerade die Schwellenländer haben ein starkes Interesse an den Reformen, insbesondere Länder wie China, Indien, Brasilien mit ihren riesigen Absatzmärkten. Sie gehören zu den wichtigsten Handelspartnern der Firmen, die von der Mindeststeuer betroffen sind.
Es ist also nicht zu befürchten, dass die Firmen plötzlich alle nach Panama auswandern?
Im Gegenteil, diese Anreize sind durch die Reformen sogar reduziert. Im umsatzbasierten Steuersystem zahlen die Firmen ja ihre Steuern dort, wo sie ihren Umsatz machen, egal, wo sie sitzen. Und die Firmen können nicht einfach behaupten, dass sie ihre gesamten Umsätze in Panama erwirtschaften.
Facebook, Amazon und Apple verdienen Milliarden in aller Welt – doch viele Steuerkassen sehen davon nur relativ wenig. Geht es nach den grossen Industrieländern, soll sich das bald ändern: Die Finanzminister der G7-Nationen haben sich auf eine globale Mindeststeuer für Grosskonzerne geeinigt. Ihre Höhe: 15 Prozent. Davon betroffen ist auch die Schweiz, fällt doch ein wichtiger Standortvorteil weg. Viele Kantone müssten ihre Steuern anheben. Ob nun ein Exodus grosser Unternehmen zu befürchten ist, und wie die Schweiz gegensteuern kann, erklärt Prof. Florian Scheuer von der Universität Zürich im Interview mit «blue News».
Dieses Interview wurde von Andreas Fischer geführt und ursprünglich in blue News, 6/2021 publiziert.
Florian Scheuer received his PhD from MIT in 2010. He is interested in the policy implications of rising inequality, with a focus on tax policy. In particular, he has worked on incorporating important features of real-world labor markets into the design of optimal income and wealth taxes. These include economies with rent-seeking, superstar effects or an important entrepreneurial sector, frictional financial markets, as well as political constraints on tax policy and the resulting inequality. His work has been published in the American Economic Review, the Journal of Political Economy, the Quarterly Journal of Economics and the Review of Economic Studies, among other journals. In 2017, he received an ERC starting grant for his research on “Inequality - Public Policy and Political Economy.” Before joining Zurich, he was on the faculty at Stanford, held visiting positions at Harvard and UC Berkeley and was a National Fellow at the Hoover Institution. He is Co-Editor of Theoretical Economics and Member of the Board of Editors of the Review of Economic Studies. He is also a Co-Director of the working group on Macro Public Finance at the NBER. He has commented on tax policy in various US and Swiss media outlets.
Florian Scheuer received his PhD from MIT in 2010. He is interested in the policy implications of rising inequality, with a focus on tax policy. In particular, he has worked on incorporating important features of real-world labor markets into the design of optimal income and wealth taxes. These include economies with rent-seeking, superstar effects or an important entrepreneurial sector, frictional financial markets, as well as political constraints on tax policy and the resulting inequality. His work has been published in the American Economic Review, the Journal of Political Economy, the Quarterly Journal of Economics and the Review of Economic Studies, among other journals. In 2017, he received an ERC starting grant for his research on “Inequality - Public Policy and Political Economy.” Before joining Zurich, he was on the faculty at Stanford, held visiting positions at Harvard and UC Berkeley and was a National Fellow at the Hoover Institution. He is Co-Editor of Theoretical Economics and Member of the Board of Editors of the Review of Economic Studies. He is also a Co-Director of the working group on Macro Public Finance at the NBER. He has commented on tax policy in various US and Swiss media outlets.