Insights/Dialogue & Events
Altersvorsorge – eine Frauenfrage?
Jun 2021

Interview mit Monika Bütler und Veronica Weisser

Die Schweizer Sozialsysteme stehen vor grossen Herausforderungen – allen voran die Altersvorsorge: eine alternde Gesellschaft, tiefe Zinsen für die Altersvorsorge sowie Fehlanreize zur Frühpensionierung. Wo sind die Grenzen des Wohlfahrtsstaates und welche Prioritäten sind zu setzen, um die Zukunftsfähigkeit der Sozialsysteme gewährleisten zu können? Diese Fragen wurden am Wirtschaftspodium Schweiz rege diskutiert. Wir sprachen im Anschluss an die Veranstaltung mit den beiden Referentinnen, Ökonomin Monika Bütler sowie Ökonomin und UBS Vorsorgeexpertin Veronica Weisser, über Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten im Vorsorgesystem.

Dies ist ein Beitrag aus «Inspired» Nr.14 Magazin des Department of Economics.

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In der Diskussion wurde deutlich, dass die Erhöhung des Rentenalters der Frauen eine Knacknuss ist. Stein des Anstosses: zurzeit kommen die Frauen im Vorsorgesystem der Schweiz schlechter weg als die Männer. Was muss geändert werden, damit dies nicht mehr der Fall ist?

Monika Bütler: Es ist kompliziert. Im Durchschnitt fahren Frauen in der AHV etwa gleich gut wie Männer. Armut im Alter gibt es vor allem bei den alleinstehen Männern und Frauen mit Kindern, die sehr gut Abgesicherten ausgenommen. Wenn schon müssten eher die tiefen Renten der Alleinstehenden statt die Ehepaarrente erhöht werden. In der 2. Säule erhalten Frauen pro einbezahlten Franken ebenfalls etwa gleich viel wie Männer. Die grossen Unterschiede sind den Erwerbsbiografien und den tieferen Löhnen geschuldet. Abhilfe bietet die Aufhebung des Koordinationsabzuges im BVG und alle Rahmenbedingungen, welche die Erwerbsarbeit nicht behindern, wie etwa die Individualbesteuerung. Ebenfalls prüfenswert wäre ein Splitting der BVG Beiträge – auch bei unverheirateten Eltern während der Erziehungszeit.

Veronica Weisser: Die Arbeit der Mütter während der Erziehungsphase kommt aus finanzieller Sicht lediglich dem Staat zugute. Denn der Staat profitiert von den Kindern, die die Umlageverfahren finanzieren, also in der AHV, der Gesundheitsversorgung und bei anderen Staatsausgaben. Zwar heisst es, Kinder seien Privatsache, doch in Tat und Wahrheit sind sie eine zwingende Notwendigkeit als Teil der existierenden staatlichen Finanzierungsstrukturen. Mit einer staatlich finanzierten Kinderbetreuung würden mehr Mütter in höheren Pensen arbeiten, was den Fachkräftemangel entschärfen würde. Die Familien würden höhere Erwerbseinkommen erzielen und dadurch mehr Steuern bezahlen. Die Mütter, respektive die Eltern, würden ihre Erwerbskarrieren intakt halten und so ihre 2. und 3.-Säule-Konten aus eigener Kraft füllen. Aus meiner Sicht ist die staatlich finanzierte Kinderbetreuung nicht nur die beste Altersvorsorgemassnahme für Frauen. Sie ist auch der Grundstein für die Gleichstellung der Geschlechter. Frauen müssen sich so seltener zwischen Beruf und Familie entscheiden und könnten sich vermehrt in Unternehmen, Politik und Gesellschaft positionieren. Schliesslich ist doch das tiefere Rentenalter auch ein Grund für die tieferen Frauenrenten: wer ein Jahr weniger arbeitet und spart, hat automatisch weniger in der Pensionskasse und in der 3. Säule.

Der im Gesetz festgeschriebene Umwandlungssatz der 2. Säule befindet sich deutlich über den aktuellen Renditemöglichkeiten der Pensionskassen. Was schlagen Sie vor, um sich von den starren Sätzen zu lösen?

Monika Bütler: Es macht keinen Sinn, den von Finanzmarkt- und Demographie geprägten Umwandlungssatz ins Gesetz zu schreiben. Andererseits ist eine mechanische Koppelung des Umwandlungssatzes an diese Parameter nicht mit der Versicherungsfunktion (auch zwischen den Generationen) in der zweiten Säule vereinbar. Nur ein Beispiel: in der Finanzkrise sank der Umwandlungssatz in angelsächsischen kapitalgedeckten Systemen schnell um einen Viertel und mehr. Eine gewisse Glättung über die Zeit entspricht dem Geist der schweizerischen Beruflichen Vorsorge. Möglich wäre eine Delegation der Bestimmung des Mindestumwandlungssatzes an eine unabhängige Expertenkommission. Und vielleicht könnte der Umwandlungssatz – wie im Überobligatorium – mit geeigneter Regulierung ganz den Kassen überlassen werden. Das hat bisher ganz gut geklappt.

Veronica Weisser: Ich würde empfehlen, die Ansparphase in der Pensionskasse von der Auszahlungsphase zu trennen. Dieses Modell gibt es in verschiedenen Ländern und ist – aufbauend auf die AHV als notwendige Grundsicherung – das fairste Modell. Denn Personen, die aufgrund von Krankheit oder wegen ihres Berufs eine kürzere Lebenserwartung haben, würden höhere Umwandlungssätze erhalten. Wohlhabende mit langer Lebenserwartung würden tiefere Sätze erhalten. Zurzeit finanzieren die Ärmeren die Wohlhabenden mit. Auch würde es in einem solchen Modell nie zu einer unfairen Belastung der jungen Generationen in der 2. Säule kommen. Das heutige Modell wird weder den Jungen noch den schwächeren Älteren in der Gesellschaft gerecht.

In der dritten Säule sparen trotz Steueranreizen noch lange nicht alle Schweizer – den einen fehlt es schlicht an freien Mitteln, andere sind sorglos und wollen lieber heute konsumieren. Welche Anreize braucht es, damit diese Vorsorgelösung stärker genutzt wird?

Monika Bütler: Die steuerlichen Anreize sind im Prinzip sehr passend, die Obergrenze adäquat – die 3. Säule sollte in erster Linie der Vorsorge dienen und nicht der Steuerersparnis. Die Möglichkeit, fehlende Beitragsjahre nachzahlen zu können, erachte ich als sehr wichtig. Davon profitiert vor allem der Mittelstand – und diejenigen mit einer etwas unkonventionellen Erwerbskarriere.

Veronica Weisser: Es gibt eine sehr einfache Massnahme, mit der jeder junge Mensch die eigene Altersvorsorge sichern kann. Es ist die Einrichtung eines völlig banalen Dauerauftrags. So wird automatisch monatlich privat gespart und angelegt, zunächst in die Säule 3a. Wer noch mehr sparen kann, investiert zusätzlich in Fonds. Wie kann man nun die Personen dazu bringen, einen solchen einfachen Dauerauftrag einzurichten? Einerseits müssen wir klar machen, dass Vater Staat im Bestreben die Altersvorsorge zu «sichern» schon längst gescheitert ist. Den jungen Generationen muss die Illusion genommen werden, dass es ihnen mal so gut gehen wird wie den heutigen Rentnerinnen und Rentnern. Andererseits müssen wir erklären, wie Selbstverantwortung aussieht und dass das gar nicht kompliziert ist. Einmal auf der Banking App einloggen und schon ist der Dauerauftrag eingerichtet.

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Hon. Prof. Dr. Monika Bütler ist Expertin für Economic Policy und Mitglied der Swiss National Covid-19 Science Task Force
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Vorsorgeexpertin Dr. Veronica Weisser ist Leiterin Retirement & Pension Solutions Schweiz, UBS
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Eventrückblick

Wirtschaftspodium Schweiz – Zweiteilige Online-Veranstaltung

«Zukunftsfähige Sozialsysteme» 6. und 8. April 2021

Die Pandemie ist ein Stresstest für die Schweizer Sozialsysteme. Wie schneidet das Gesundheitssystem ab? Was bedeutet die Krise für die Altersvorsorge – ist sie gar eine Chance für Reformen? Am Wirtschaftspodium Schweiz diskutierten Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik neuartige Lösungen für altbekannte Probleme.

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Lösungsansätze zur Sicherung der Altersvorsorge, Livestream am 8. April 2021
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Prof. Monika Bütler
Dr. Veronica Weisser
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