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Föderalismus im Krisenmodus
Mar 2023
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Interview mit Ueli Maurer

Pandemie, Klimawandel, Krieg in der Ukraine und Energieknappheit – alt Bundesrat Ueli Maurer blickt auf eine Amtszeit zurück, die vor allem in den letzten Jahren von Krisen gekennzeichnet war. Wie fit die hiesigen föderalistischen Strukturen für die Krisenbewältigung sind, kann er entsprechend gut beurteilen. Ist die Kritik am Erfolgsmodell Schweiz, die vor allem in der Pandemie laut wurde, berechtigt? Ueli Maurer äussert sich im Interview zu den Stärken und Schwächen des Schweizer Föderalismus und stimmt ein auf das kommende Wirtschaftspodium Schweiz vom 3. April 2023, wo er als Hauptreferent auftritt.

UBS Center: Der Föderalismus bändigt die Staatsmacht durch Teilung, ermöglicht bedarfsgerechtere Staatsleistungen und ist ein Versuchslabor für neue Lösungen – so fasste Kaspar Villiger unlängst die Vorteile des Schweizer Föderalismus in einem NZZ-Meinungsbeitrag zusammen. Wenn Sie nun auf Ihre Amtszeit als Bundesrat zurückblicken, was waren Themen, wo sich die föderalistische Struktur als besonders hilfreich erwies?

Ueli Maurer: Es beginnt schon bei der Entschlussfassung. Ein Entscheid muss so gefällt werden, dass ihn die Kantone auch akzeptieren, bzw. umsetzen. Ohne Zustimmung der Kantone sind eidgenössische Themen nicht mehrheitsfähig. Die Einflussnahme der Kantone hat diesbezüglich zugenommen. Mit dem «Haus der Kantone» in Bern sind die Kantone mit ihren Fachkonferenzen präsenter als vorher. Die hehren Ziele des Föderalismus werden durch Finanzierungsfragen oft in Frage gestellt. Der Bund gerät in Versuchung durch mehr Geld mehr Kompetenzen zu erhalten, beispielsweise beim öffentlichen Verkehr, im Gesundheitswesen, bei der Bildung, Tourismus, Umweltschutz usw. Die Kantone geben oft leichtfertig nach, weil sie weder die Verantwortung tragen noch bezahlen müssen. Im Bereich Verkehr, Steuern, Umweltpolitik konnten wohl am ehesten vernünftige Kompromiss gefunden werden.

Mit dem Krieg in der Ukraine, den Energieengpässen, der Klimakrise und der Pandemie erleben wir internationale Krisen, die uns vor grosse Herausforderungen stellen. Wie gut funktionieren die 1848 gestalteten Institutionen in Krisenzeiten von heute? Wo kann der Föderalismus helfen, die Herausforderungen zu bewältigen und wo nicht?

Der Föderalismus als Instrument kann auch in solchen Zeiten funktionieren. Es gibt zwei Korrekturschrauben: Die Kantone müssen sofort und umfassend einbezogen werden und die Trägheit des Systems – heisst lange Fristen – müssen angepasst und verkürzt werden. Grundsätzlich ist das Wissen der Kantone wertvoll, weil sie Aspekte der Umsetzung besser kennen als der Bund. Grundsätzlich sind insbesondere Fragen in Bereich Finanzen, Bildung, Gesundheitswesen, Verkehr, Digitalisierung usw. Bereiche, bei denen ein übergeordnetes Interesse zur Zusammenarbeit besteht.

Das Erfolgsmodell Schweiz hat durch die Corona-Krise einen Imageschaden erlitten, wobei vor allem die föderalistischen Strukturen in der Kritik standen. Verhinderte der Föderalismus eine rasche Bewältigung der Pandemie? Weshalb?

Selbstkritisch: Der Bund hat die Kantone nicht genügend einbezogen und hat sich nicht genügend um Fristen betreffend Stellungnahem gekümmert. Das Unvermögen der Verwaltung hat Nachteile des föderalen Systems bei weitem übertroffen.

Im Juni 2021 setzte sich der Bundesrat einen Schwerpunkt im Bereich Digitalisierung und Föderalismus. Was sind aus Ihrer Sicht die grössten Herausforderungen in diesem Bereich? Ergeben sich durch den Föderalismus auch Chancen, um neue Lösungen zu entwickeln?

Mit der neu geschaffenen Plattform «Digitale Verwaltung Schweiz» arbeiten Bund, Kantone, Städte- und Gemeindeverband gemeinsam an Lösungen. Dieser Knowhow-Austausch ist wichtig. Es braucht möglicherweise noch ein Verfassungskompetenz und Gesetze, um Aufgaben und Kompetenzen klar zu regeln. Es wird wohl etwas länger dauern, aber die Chance, dass moderne und solide Lösungen erarbeitet werden, erachte ich als gross.

In vielen Politikbereichen hat die Zentralisierung und neue unübersichtliche Verflechtungen rasant zugenommen. Wagen wir einen Blick in die Zukunft: Wie wird der Schweizer Föderalismus 2050 aussehen? Welche Massnahmen sind zu ergreifen, damit die Vorteile des Föderalismus wieder voll zum Tragen kommen?

Also 2050 ist etwas weit weg. Der Föderalismus wird bestehen bleiben, es bleibt eine Daueraufgabe, Aufgaben klar zuzuweisen und dafür den Staatsebenen auch die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Der Bund muss den Kantonen mehr Vertrauen schenken und diese haben das durch eine effiziente und innovative Umsetzung zu rechtfertigen.

Ueli Maurer wurde Ende 2008 in den Bundesrat gewählt und leitete zunächst das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS). 2012 wählte ihn das Parlament zum Bundespräsidenten für 2013. 2019 war er ein zweites Mal Bundespräsident. Von 2016 bis Ende 2022 leitete er das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD). Im September 2022 gab Maurer seinen Rücktritt aus dem Bundesrat per Ende Jahr bekannt. Vor der Wahl in den Bundesrat war er während 20 Jahren Geschäftsführer einer landwirtschaftlichen Genossenschaft. Von 1996 bis 2008 war Maurer Präsident der SVP Schweiz und von 1994 bis 2008 amtete er als Geschäftsführer des Zürcher Bauernverbandes.

Pandemie, Klimawandel, Krieg in der Ukraine und Energieknappheit – alt Bundesrat Ueli Maurer blickt auf eine Amtszeit zurück, die vor allem in den letzten Jahren von Krisen gekennzeichnet war. Wie fit die hiesigen föderalistischen Strukturen für die Krisenbewältigung sind, kann er entsprechend gut beurteilen. Ist die Kritik am Erfolgsmodell Schweiz, die vor allem in der Pandemie laut wurde, berechtigt? Ueli Maurer äussert sich im Interview zu den Stärken und Schwächen des Schweizer Föderalismus und stimmt ein auf das kommende Wirtschaftspodium Schweiz vom 3. April 2023, wo er als Hauptreferent auftritt.

UBS Center: Der Föderalismus bändigt die Staatsmacht durch Teilung, ermöglicht bedarfsgerechtere Staatsleistungen und ist ein Versuchslabor für neue Lösungen – so fasste Kaspar Villiger unlängst die Vorteile des Schweizer Föderalismus in einem NZZ-Meinungsbeitrag zusammen. Wenn Sie nun auf Ihre Amtszeit als Bundesrat zurückblicken, was waren Themen, wo sich die föderalistische Struktur als besonders hilfreich erwies?

Ueli Maurer: Es beginnt schon bei der Entschlussfassung. Ein Entscheid muss so gefällt werden, dass ihn die Kantone auch akzeptieren, bzw. umsetzen. Ohne Zustimmung der Kantone sind eidgenössische Themen nicht mehrheitsfähig. Die Einflussnahme der Kantone hat diesbezüglich zugenommen. Mit dem «Haus der Kantone» in Bern sind die Kantone mit ihren Fachkonferenzen präsenter als vorher. Die hehren Ziele des Föderalismus werden durch Finanzierungsfragen oft in Frage gestellt. Der Bund gerät in Versuchung durch mehr Geld mehr Kompetenzen zu erhalten, beispielsweise beim öffentlichen Verkehr, im Gesundheitswesen, bei der Bildung, Tourismus, Umweltschutz usw. Die Kantone geben oft leichtfertig nach, weil sie weder die Verantwortung tragen noch bezahlen müssen. Im Bereich Verkehr, Steuern, Umweltpolitik konnten wohl am ehesten vernünftige Kompromiss gefunden werden.

Zitate

Der Föderalismus als Instrument kann auch in Krisenzeiten funktionieren. Es gibt zwei Korrekturschrauben: Die Kantone müssen sofort und umfassend einbezogen werden und die Trägheit des Systems – heisst lange Fristen – müssen angepasst und verkürzt werden.
Es bleibt eine Daueraufgabe, Aufgaben klar zuzuweisen und dafür den Staatsebenen auch die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen.
Der Bund muss den Kantonen mehr Vertrauen schenken und diese haben das durch eine effiziente und innovative Umsetzung zu rechtfertigen.

Wirtschaftspodium Schweiz

Ist Föderalismus der heilige Gral gelebter Staatskunst oder längst überlebter Kantönligeist? Diese Frage stellte alt Bundesrat Kaspar Villiger am Wirtschaftspodium Schweiz in seiner Eröffnungsrede und gab die Bühne frei für angeregte Diskussionen rund um die Vorteile und Nachteile des föderalistischen Systems. Während sich die Mehrheit der Referierenden als starke Verfechter des Föderalismus positionierten, gab es auch kritische Stimmen, insbesondere im Hinblick auf Krisensituationen. Hier gibt es Nachholbedarf. Dennoch herrschte im Saal in der Grundsatzfrage Einigkeit, wie das Votum von alt Bundesrat Ueli Maurer schön zusammenfasst: «Der Föderalismus ist für das Erfolgsmodell Schweiz ein wesentlicher Faktor und daran darf nicht gerüttelt werden.»

Ist Föderalismus der heilige Gral gelebter Staatskunst oder längst überlebter Kantönligeist? Diese Frage stellte alt Bundesrat Kaspar Villiger am Wirtschaftspodium Schweiz in seiner Eröffnungsrede und gab die Bühne frei für angeregte Diskussionen rund um die Vorteile und Nachteile des föderalistischen Systems. Während sich die Mehrheit der Referierenden als starke Verfechter des Föderalismus positionierten, gab es auch kritische Stimmen, insbesondere im Hinblick auf Krisensituationen. Hier gibt es Nachholbedarf. Dennoch herrschte im Saal in der Grundsatzfrage Einigkeit, wie das Votum von alt Bundesrat Ueli Maurer schön zusammenfasst: «Der Föderalismus ist für das Erfolgsmodell Schweiz ein wesentlicher Faktor und daran darf nicht gerüttelt werden.»

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